Eberhard Karls Universität Tübingen
Vor mittlerweile zwei Jahrzehnten stellte Alexander Doty in seinem für die queere Filmwissenschaft epochemachenden Aufsatz »Whose text is it anyway?: Queer cultures, queer auteurs, and queer authorship« die Frage, wem im komplexen Zusammenspiel zwischen einem queeren Filmemacher wie Dorothy Arzner oder George Cukor und ihrem heteronormativen kreativen Output (die genannten Filmbeispiele waren damals The Women und Craig's Wife) letztlich die Deutungshoheit über ihr Oeuvre zufiele. Bereits Doty stößt in seinen Überlegungen an die Grenzen der Autorentheorie und kommt nicht umhin, den Wert queerer Praktiken der Aneignung durch den Rezipienten – die Fähigkeit einer Minderheit, einen Text so zu lesen als sei er für sie gemacht – für die Filmanalyse anzuerkennen. Mit den neuen Möglichkeiten der Kommunikation und Teilhabe, die zwischen dem Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels und heute entstanden sind, hat sich die Frage nach den Besitzansprüchen und nach der Deutungshoheit über Kulturprodukte massiv zugespitzt. In Form von so genannter Slash-Fanfiction wird im Netz millionenfach und unaufhaltsam die queere Deutung, Umdeutung und vor allen Dingen Aneignung von Mainstreamtexten betrieben. Diese inoffiziellen Fantexte erhalten durch die digitalen Verbreitungswege zunehmend mehr Gewicht, Sichtbarkeit und tragen zum laufenden Demokratisierungsprozess der Medien bei, gleichzeitig entstehen diese Fantexte aber in einer juristischen Grauzone, die es den offiziellen Rechteinhabern (z.B. den großen Filmstudios) nach eigenem Ermessen erlaubt, willkürlich Sanktionen zu verhängen oder gar Fanprojekte zu fördern. Anhand der Fandoms zu Anne Rices Vampirromanen, Harry Potter und der BBC-Serie Sherlock möchte ich unterschiedliche Beziehungsgefüge zwischen offiziellem Text und inoffiziellem Slash-Fantext diskutieren und in Rückschau auf Doty auch erneut deren queeres Potential adressieren sowie die sich hartnäckig haltende Vorstellung von Autorschaft zur Disposition stellen.
Vera Cuntz-Leng studierte Film- und Theaterwissenschaft in Mainz, Marburg und Wien. Sie verbringt derzeit einen Forschungsaufenthalt am Center for New Media der UC Berkeley und bereitet außerdem an der Eberhard Karls Universität Tübingen eine Dissertation vor, die das Harry Potter-Franchise am Scheideweg von Genretheorie, Queer Reading und Slash-Fandom beleuchtet. Neben Fanforschung, Gender/Queer Studies und Genretheorie umfassen ihre Interessenschwerpunkte die Bereiche Fantastik, filmische Standardsituationen, Performativität, serielles und transmediales Erzählen.