Technische Universität Braunschweig
Im Dezember 1848 schlug der englische Arzt William Fuller Alarm: Spaziergänger hatten Rebhühner gefunden, die allem Anschein nach keines natürlichen Todes gestorben waren. Fuller fand verdächtige Weizenkörner in ihren Kröpfen und wies nach: Todesursache war eine Arsenvergiftung durch Verzehr gebeizten Saatguts. Mit einer Pastete aus dem Fleisch der Tiere fütterte er seine Katze, die sie sich übergab und sich weiteren experimentellen Nachstellungen verweigerte. Er veröffentlichte seine Befunde im von Fach- und Laienkreisen gelesenen Lancet. Irisches Schreibtalent verlieh der Botschaft Flügel: Vom Dublin Quarterly gelangte die Nachricht unter der Überschrift Poisoned Partridges, nun als Pedrix empoisonnés in das dank eines breiten Korrespondentennetzes in ganz Europa gelesene Brüsseler Journal de médecine.
Skandale verursachten neben dem weiter diskutierten gebeizten Weizen Pariser Stearinkerzen (1836), denen zur Vermeidung der Auskristallisation Arsen zugesetzt war. Hier überquerte vor der Nachricht das Material den Ärmelkanal: Nach dem Verbot in Paris tauchten die giftigen Kerzen in England auf. Erst die englische, dann die deutsche Öffentlichkeit diskutierte über die Ausdünstungen. Hatten nicht die Jesuiten mit ähnlichen Mitteln bereits ein Attentat auf Leopold den Ersten versucht? Der anonyme Roman The Green of the Period warnt 1869 vor den Gefahren einer anderen Mode – den grünen, mit Kupferarsen gefärbten Tapeten – auch dies ein europäisches Thema. Moralische Bedenken gegen Industrie und Konsumkultur, öffentliche Gerichtsverfahren (inquests), Rufe nach Regulierung, sogar die ersten Boykottaufrufe durchzogen in Büchern, Pamphleten und Petitionen die allgemeine, literarische und wissenschaftliche Öffentlichkeit. Auf dem stillen Örtchen begannen gut Informierte, grün bedrucktes Zeitungspapier auszusortieren. Der Beitrag fragt, wie die Gefahr einer schleichenden Vergiftung kommuniziert wurde und wie spezifische mediale Öffentlichkeiten im 19. Jh. funktionierten.
Studium der Medizin und Philosophie, Habilitation in Theorie und Geschichte der Medizin 1997, seither Professorin für Geschichte der Naturwiss./ Pharmazie TU Braunschweig. Schwerpunkte: Geschichte der experiment. Biowiss., Gender and Science, prekärere Stoffe. Publikationen u.a.: »Fabelhafte Dinge«: Arzneimittelnarrative zu Coca und Coca in im 19. Jh., in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 32 (2009), S. 345-364; Systeme in pragmatischer Hinsicht: Lehrbücher der Toxikologie..., in: Friedrich/ Müller-Jahnke (Hgg.): Gifte und Gegengifte in Vergangenheit und Gegenwart. Stuttgart 2012, S. 99-133