Tobias Conradi

HBK Braunschweig

Out of Control – Grenzen der Kontrollgesellschaft?

Angesichts der weltweiten Überwachungspraktiken von Geheimdiensten und privatwirtschaftlichen Datenfarmen erscheint Gilles Deleuzes 1990 veröffentlichte Skizze über die Kontrollgesellschaften auf irritierende Weise hellsichtig. Die gegenwärtigen Entwicklungen werfen jedoch auch die Frage auf, wie weit die explikative Kraft des Konzepts reicht: Verdeckt es vielleicht die Erkenntnis, dass wir es bereits mit einer disziplinargesellschaftlichen Gegenreaktion zu tun haben?

Wir wollen diskutieren, wie Medienwissenschaft zur Schärfung der aktuellen politischen Debatten beitragen kann. Sowohl die parteipolitischen Verlautbarungen (»deutsches Recht auf deutschem Boden«) als auch die massenmedial geführte Diskussion offenbaren aus medienwissenschaftlicher Sicht oftmals problematische und unterkomplexe Annahmen über das Verhältnis von Medientechniken und Gesellschaft.

Gleichzeitig sehen wir in den Erkenntnissen über das Gebaren von Geheimdiensten und Wirtschaftsunternehmen eine Herausforderung für die Theoriebildung der Medienwissenschaft. Selbst wenn sozialer und technologischer Determinismus überwunden scheinen, bilden pragmatisch konzeptualisierte Alternativen weiterhin eine theoriepolitische Leerstelle. Auch Perspektiven, die in Technik einen machtvollen Akteur innerhalb eines hybriden, technisch-sozialen Netzwerkes erkennen, machen die Notwendigkeit politischer und juristischer Willensbildung und Entscheidungsfindung nicht obsolet.

Schließlich interessiert uns, welche politischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Interventionen durch Medientheorie ermöglicht oder verunmöglicht werden. Wie positioniert sich z.B. eine Kritik an Selbsttechnologien als gouvernementale Regierungspraxis gegenüber den allseitig proklamierten Anforderungen an die technischen Fertigkeiten der Nutzer (Verschlüsselung, Datensparsamkeit, etc.)?

Workshop mit kurzen Impulsbeiträgen und Diskussion

Vita

Dr. des. Tobias Conradi ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im DFG-Projekt »Kulturtechnik Unternehmensplanspiel« am Institut für Medienforschung der HBK Braunschweig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Diskurstheorie, Repräsentationspolitiken und dem Zusammenhang von Kritik, Krise und Entscheidung.