Leuphana Universität Lüneburg
Mit der Raumfahrt erreicht das 20. Jahrhundert endgültig den Zenit seiner Beschleunigungskultur. Das Einwirken der Geschwindigkeit auf den Körper, die ihn zwischen Kontinenten, Meeren und schließlich auch Planeten zirkulieren lässt, verhüllt ihn wieder zu einem aus Messartefakten konstituierten »metaphysischen Körper«, wie man ihn mit Paul Virilio stellvertretend für die Postmoderne bezeichnen könnte.
Aber statt einem Entrücken aus der vertrauten Leiblichkeit durch anthropometrische Daten tritt in der Raumfahrtforschung ebenso die Suche nach der optimalen Körperhaltung bzw. dem optimalen Körpergefühl ein. Letztere ist notwendig, um bei Schwerelosigkeit seine Kräfte besser dosieren und eine dauerhafte Orientierung beibehalten zu können. Das Ergebnis dieser frühen Raumfahrtforschung ist die so genannte NASA Neutral Body Posture (NBP).
Heute ist die NBP fester Bestandteil so genannter digitaler Menschmodelle, die für die Konstruktion von Flugzeugen, Autos oder Fließbändern verwendet werden. Ausgehend von dreidimensionaler Modellierungssoftware und dem Tracken von Bewegungen in immersiven Virtual-Reality-Anwendungen, werden Körpermodelle wie die NBP – so eine erste These des Beitrags – zu einer Vorlage, um gesetzliche DIN-Vorschriften, ergonomische Ansprüche und Designaspekte wie das Entspannungsgefühl unter einem virtuellen Körper zu vereinbaren.
Zweitens soll dargelegt werden, dass dieser virtuelle Körper auf die Episteme der Immersion verweist, deren Kern sich eben nicht auf eine Dematerialisierung durch Vermessungstechniken erstreckt, sondern auch eine Antizipation von Wechselwirkungen zwischen Organismus und Umwelt impliziert. Mit Letzterer steht die Frage im Raum, ob die Bewegungen in den virtuellen Umwelten allein Normumsetzungen sind, oder ob es sich um Projektionen ganzer Bewegungssequenzen handelt, in denen der Übergang vom mechanischen zum menschlichen Teil immer unscheinbarer wird.
Dawid Kasprowicz ist Doktorand in der DFG-Kollegforschergruppe »Medienkulturen der Computersimulation« an der Leuphana Universität in Lüneburg. Studium der Medienwissenschaft und der Philosophie in Bochum und Dunkerque. Promoviert zum Thema: »Der Körper auf Tauchstation: Zur Wissensgeschichte der Immersion und ihre Bedeutung für computersimulierte Arbeitsplätze.« (AT). Jüngste Publikation: »¸Fluide Säcke««: Raumanzüge als Operationalisierungstechniken des Körpers«. In: Ute Seiderer (Hrsg.): »Haut und Hülle – Umschlag und Verpackung« (In Vorbereitung).