Marcus Stiglegger

Universität Mainz

Das Dogma der Mit/Verantwortung. Filmzensur unter medienethischer Perspektive

Im Januar 2014 bezichtigte die türkische Regierung einen Filmregisseur der Mitverantwortung für die mögliche Eskalation regierungskritischer Proteste: Serkan Koç hatte mit seinem Dokumentarfilm The Beginning (2013) die Proteste im Gezi-Park dokumentiert, was laut Regierung »öffentlichen Hass anheize«. Sie forderte nicht nur das Verbot des Films, sondern klagte den Regisseur der Mitschuld an. – Eine Dekade zuvor, 1995, führte der Rechtsanwalt und Bestsellerautor John Grisham einen ähnlich motivierten Prozess: Er zeigte den Filmregisseur Oliver Stone an, mit seinem Film Natural Born Killers (1994) mitschuldig an einem copycat-Verbrechen zu sein. Der Schauprozess verlief nicht zuletzt deshalb im Leeren, weil Stone zurecht die Frage aufwarf, inwieweit ein Regisseur überhaupt als alleiniger Urheber eines Film gelten kann. Beide Fälle verweisen auf ein bis heute hitzig diskutiertes Phänomen, inwieweit Filmzensur – in der Bundesrepublik nur nominell nicht existent – eine Schutzfunktion einnehmen kann und ob sie mit medienethischen Grundsätzen vereinbar ist. Der Vortrat wird unterschiedliche Aspekte und Perspektiven dieser Diskussion im Kontext von Medien und Recht untersuchen.

Vita

PD Dr. Marcus Stiglegger lehrt(e) Filmwissenschaft an den Universitäten Mainz, Siegen, Mannheim, Klagenfurt (AU) und Clemson (USA). Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu Filmästhetik, Filmgeschichte und Filmtheorie und ist Mitglied in den GfM-AKs »Filmwissenschaft« und »Populärkultur und Medien«.