Thomas Wilke

Universität Tübingen

Phonograph, Grammophon und Sprechapparate. Der Kampf um die Tonkonserve zwischen Tiefenschrift und Seitenschrift

Die Patentanmeldung zur Erfindung des Phonographen im Dezember 1877 wird in der Literatur gern als Wettlauf zwischen dem Franzosen Charles Cros und Thomas A. Edison dargestellt. Edisons erlahmtes Interesse nach dem ersten größeren Scheitern der technisch noch nicht ausgereiften Erfindung begann erst wieder nach den Weiterentwicklungen von unter anderem Charles S. Tainter Mitte der 1880er Jahre aufzulodern. Unabhängig davon und parallel dazu arbeitete Emile Berliner am Grundproblem des Phonographen: die Vervielfältigung. Mehrere Exemplare einer Aufnahme waren durch das Verfahren der Tiefenschrift bis zum Goldgussverfahren 1904 nur unter größeren Mühen und qualitativen Verlusten herzustellen. Berliner hingegen verfolgte die Idee einer massenhaften Vervielfältigung und meldete schließlich 1887 das Grammophon als Patent an. Aus der technischen Möglichkeit der Vervielfältigung leitete sich scheinbar das Recht zur (analogen) Vervielfältigung ab. Damit legte Berliner – sehr viel stärker als Edison – den Grundstein einer sich in den Folgejahren rasant und dynamisch konstituierenden Industrie, die wir heute in ihrer Umfänglichkeit als Musikindustrie kennen. Der Vortrag will konkrete Entwicklungen dieses medialen Dispositivs und den damit im Zusammenhang stehenden Rechtsstreitigkeiten um die verschiedenen Patente und ihrer Durchsetzung in der Anfangszeit bis zum Ersten Weltkrieg aufzeigen. Das beobachtbare Bewusstsein von Verwertungsinteressen, (neuen) medialen Handlungsfeldern und technischer Probleme am Ende des 19. Jahrhunderts stehen dabei im Fokus. Denn von den Aufnahmetechniken, den Formaten, über die verschiedenen Abtastsysteme, den Antriebsmotoren, den Wiedergabetrichtern ließen sich die jeweiligen Protagonisten in heftige Streitereien ein, die letztlich einen vordergründig ökonomischen Hegemonialanspruch in sich bargen und so zu alternativen Lösungen anregte.

Vita

Dr. Thomas Wilke, akademischer Rat am Institut für Medienwissenschaft der Universität Tübingen. Forschungsgegenstände sind schwerpunktmäßig auditive und populäre Medienkulturen, Radioästhetik, Medienanthropologie und Wissenskulturen sowie Medien- und Kommunikationsgeschichte des 19. Jh. Interessensgebiete sind Mashups, Filmmusik und -Sound, Performativitäts- und Dispositivforschungen, Alter(n) in Medien. Mitherausgeber und Redakteur der Online-Zeitschrift Rock and Pop in the Movies und SPIEL. Mitglied im GfM-AK Populärkultur und Medien.