Europäische Medienwissenschaft (FH & Uni Potsdam)
Zum gegenwärtigen Stellenwert der Pornografie existieren mindestens zwei prägende Gewiss- bzw. Ungewissheiten. Gewiss sind sich zahlreiche Beobachter_innen gesellschaftlicher Entwicklungen darin, dass die Präsenz pornographischer Darstellungen etwa seit Mitte der 1990er Jahre stark zugenommen hat. Als Hauptursache gilt das Internet. Dem steht eine bemerkenswerte und vergleichsweise wenig bekannte Ungewissheit der deutschen Rechtslage gegenüber, die Pornographie keineswegs eindeutig definiert. Indem der Gesetzgeber, so der Jurist Klaus Walter, »auf eine Legaldefinition bewußt verzichtet« hat, ist die Auslegung an die Gerichte überantwortet worden. Diese urteilen bis heute aufgrund dreier Kriterien, die – vereinfacht gesagt – nach grob aufdringlicher bzw. übersteigerter Darstellung, nach der Aufreizung des Sexualtriebs sowie nach dem Gesamtzusammenhang des Werkes fragen.
Damit implizieren die Entscheidungen komplexe medienwissenschaftliche Fragestellungen, die vor allem bei der Analyse der Darstellung und des Gesamtzusammenhangs unübersehbar sind. Auf letzteres möchte ich mich hier konzentrieren. Zweierlei Kontexte interessieren mich dabei besonders: erstens der Rahmen des Zugangs zu den fraglichen Bildern und Tönen – die Interfaces von Mainstream-Netporn und damit jene Ordnungen des Begehrens, die sich als Fülle von Kategorien, Praktiken und Merkmalen präsentieren. Zweitens geht es mir um die Beziehung dieses Kontextes zu anderen Auswahl-Ordnungen digitaler Medien, die wir in den diversen Ausformungen der Interface Mise-en-scène als Ästhetik der Verfügung kennen und nutzen gelernt haben. Dieser Zusammenhang führt zu Machtphantasien, die sich keineswegs auf Pornografie beschränken.
Professor für Geschichte und Theorie der technischen Medien im Kooperationsstudiengang Europäische Medienwissenschaft der Fachhochschule Potsdam und Universität Potsdam. Letzte Buchveröffentlichungen: Game Over?! Perspektiven des Computerspiels (2008, mit Christine Hanke und Dieter Mersch), Raumdeutung. Zur Wiederkehr des 3D-Films (2012, mit Lisa Andergassen und Nora Johanna Werdich), Das flexible Kino. Ästhetik und Dispositiv der DVD & Blu-ray (2012), Katastrophe und Kapitalismus. Phantasien des Untergangs (2013).