University of East Anglia, Norwich, England
Stanley Kubricks A Clockwork Orange wurde ab Januar 1972 in Londoner Kinos gezeigt und ab Januar 1973 im Rest des Landes. Der Film lief bis 1974 in britischen Kinos und wurde zu einem der größten kommerziellen Erfolge der frühen 70er Jahre. Zudem löste er die wohl intensivste Filmkontroverse in Großbritannien seit dem 2. Weltkrieg aus, die im Frühjahr und Sommer 1973 in dem Vorwurf kulminierte, der Film sei für eine Reihe von Gewalttaten verantwortlich, die Jugendliche angeblich in Nachahmung von Filmszenen begangen hatten. Aufgrund dieser Kontroverse beschlossen Kubrick und Warners, den Film nach 1974 in keiner Form (Kino, TV, Video, DVD) in Großbritannien wieder herauszubringen. Erst ein Jahr nach Kubricks Tod im Frühjahr 1999 wurde er abermals gezeigt.
Dieser Vortrag beschäftigt sich zunächst mit der Arbeit des British Board of Film Censors (BBFC), einer von der britischen Filmindustrie eingerichteten Institution der Filmkontrolle. Nach britischem Recht war es den Kommunen überlassen, Lizenzen für Filmaufführungen zu vergeben, wobei sie sich in der Regel an den Entscheidungen des BBFC orientierten. Der BBFC vergab Zertifikate, die den meisten Filmen eine Altersbeschränkung auferlegten, tat dies oft erst, nachdem Schnittauflagen befolgt worden waren, und konnte die Zertifizierung auch ganz verweigern. Für A Clockwork Orange vergab der BBFC am 15. Dezember 1971 ein «X«-Zertifikat ohne jegliche Schnittauflagen (Kinder und Jugendliche unter 17 Jahren durften den Film somit nicht sehen). Diese Entscheidung wurde scharf kritisiert, vor allem von christlich-konservativen Organisationen, die den moralischen Verfall der britischen Gesellschaft befürchteten. Ihr Ziel war es, den Film ganz aus dem Verkehr zu ziehen. Neben ihrer Pressekampagne gegen den BBFC, übten diese Organisationen auch direkten Druck auf Kommunalverwaltungen aus. In der Tat verweigerten 1973 einige dieser Verwaltungen dem Film die notwendige Lizenz, so dass er in ihren Kommunen nicht aufgeführt wurde.
Peter Krämer ist Senior Lecturer in Film Studies an der University of East Anglia in Norwich (England) sowie Gastdozent an der Masaryk-Universität in Brno (Tschechien) und der Hochschule für Fernsehen und Film in München. Er ist der Autor von über 60 Aufsätzen in Fachmagazinen und Aufsatzsammlungen sowie von drei Monographien: A Clockwork Orange (Palgrave, 2011), 2001: A Space Odyssey (BFI, 2010) und The New Hollywood: From Bonnie and Clyde to Star Wars (Wallflower, 2005). Zudem ist er Mitherausgeber von The Silent Cinema Reader (Routledge, 2004) and Screen Acting (Routledge, 1999).