Philipp Blum

Philipps-Universität Marburg

Zensierte Wirklichkeiten: Die institutionelle Einflussnahme auf den Dokumentarfilm in der BRD

»Eine Zensur findet nicht statt« – so der zentrale Leitsatz des Artikels 5 Grundgesetz, der die Meinungs-, Informations- und Kunstfreiheit garantiert. Der Dokumentarfilm lässt sich durch alle drei Instanzen verteidigen. Er mediatisiert Meinungen und drückt zu diesen ästhetisch eine Meinung aus. Er kumuliert Informationen und publiziert diese in einer bestimmten und bestimmbaren Auslegung. Schließlich ist jeder Film Kunst in dem Maße, wie er auf ästhetischen Entscheidungen beruht, die bereits in der Wahl der Kameraposition artikuliert werden. Im Dokumentarfilm kommt dem juristischen Einfluss auf Film besondere Bedeutung zu. Die Referenz eines Dokumentarfilms wurzelt in der afilmischen Wirklichkeit, auch wenn der Dokumentarfilm zu dieser selbstevident kein privilegierteres Verhältnis unterhält als der Spielfilm. Dem steht eine kulturelle Pragmatik des Dokumentarfilms gegenüber, die ihn an der Fiktion der Objektivität misst. Entsprechend privilegiert oder skandalisiert der juristische Einfluss auf den Dokumentarfilm durch FSK, FBW und anfangs das Bundesministerium des Inneren nicht nur eine je ästhetische Praxis, es skandiert so auch eine Formung der filmischen Wirklichkeit, die sich Zuschauern als Verhandlung ihrer Realität andienen soll.
Im Vortrag soll aus filmhistorischer Perspektive auf die Dokumentarfilmproduktion der BRD das aufgezeigte Problemfeld näher beschrieben werden. Im Zentrum stehen dabei Filme, auf die historisch nachweisbar seitens institutioneller Formationen spezifisch Einfluss genommen wurde. Von dieser Grundlage aus, stellt sich die Frage nach der ästhetischen Gestalt dieser Filme anders und neu und wird dann nicht nur historisch, sondern auch gegenwärtig virulent, wenn das Recht des Films auch das Recht des Zuschauers an selbigem tangiert und in eine Sphäre realrechtlicher Wahrnehmungspolitik drängt.

Vita

Philipp Blum, M.A. studierte Medienwissenschaft, Europäische Ethnologie und Kunstgeschichte an der Philipps-Universität Marburg, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im DFG-Forschungsprojekt zur »Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland 1945-2005« am Haus des Dokumentarfilms in Stuttgart und promoviert in Marburg zum Thema experimenteller Semidokumentarismus. Seine weiteren Forschungsinteressen sind: Pragmatiken und Formen des Dokumentarischen in Film und Fernsehen, Animationsfilm, audiovisuelle Performanz, Narratologie der Medien insb. des Films sowie Film- und Kulturtheorie.