Daniel Eschkötter

Medienwissenschaft, Bauhaus-Universität Weimar

Cinematic Justice. Über Cine-Gerichte

»Réjouer les crimes.« So übertitelt der französische Rechtshistoriker und Psychoanalytiker Pierre Legendre ein Kapitel seiner Lektion über den Amoklauf des Gefreiten Lortie und benennt damit ein Axiom seiner dogmatischen Anthropologie der Instituierung: Im symbolischen Raum des Gerichts erhält das Verbrechen einen »Platz in der Sprache«, wird das Ding der Tat zur Rechtssache. Die, so Legendre, »sozialen Montagen« wie Staat und Gesellschaft beruhen auf solchen Transfers. Was Legendre psychoanalytisch als medienübergreifende »Szene« einer Herstellung der Rechtssache fasst, dekliniert Cornelia Vismann medientheoretisch als eine Szenographie medialer Agenturen der Rechtsproduktion durch. Der Beitrag möchte an Cornelia Vismanns Arbeiten zum »Réjouer« und zu »Cine-Gerichten« anknüpfen. Vismann betont zurecht die Differenz des réjouer zu Verfahren der Rekonstruktion und des Reenactments. Der Vortrag untersucht das rechts- wie filmtheoretisch komplexe Verhältnis von Tat und Wort, Bild und Ton in Filmen, die über Rekonstruktionen und Reenactments zu (durchaus problematischen) Agenturen einer »cinematic justice« werden, filmischen Tribunalen, die an die Stelle »ordentlicher« völker- und strafrechtlicher Verhandlungen treten, von Philip Scheffner, Joshua Oppenheimer u.a. In ihnen werden detektivische Investigationen und historische Recherchen überführt in filmische Prozesse. In Anlehnung an Michel Chion Konzeptualisierung der Audivision als Audio-divison will der Vortrag ein rechts-filmtheoretisches Konzept der Audio-revision vorgeschlagen: In ihr, der Spaltung und Wiederaufnahme von Ton und Bild, artikuliert sich der »Kampf der Wahrheitsdispositive Wort und Bild« (Vismann) als reflexives Wissen um die mediale Montage der Wahrheits- und Rechtsproduktion und mit ihnen eine Potentialität der Filmform, die ein evidenzparadigmatisch motiviertes Zeugenschaftsmodell des Films hinter sich lässt und den Riss zwischen Tat und Wort in die audiovisuelle Struktur selbst überführt.

Vita

Medien-, Film-, Literaturwissenschaftler. Derzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Bauhaus-Universität Weimar und Koordinator des Graduiertenkollegs »Mediale Historiographien«. Mitglied der Redaktion der Zeitschrift für Medienwissenchaft. Mitglied im DFG-Netzwerk »Kunst & Arbeit«. Autor für CARGO Film/Medien/Kultur. Forschungsschwerpunkte: Gespenster, Institutionen, Serien, Komödien. Aktuelle Publikation: Das Melodram. Ein Medienbastard, Berlin 2013, hrsg. mit Bettine Menke und Armin Schäfer.