Matthias Wittmann

Medienwissenschaft, Universität Basel

Close-Up, oder: Das Recht auf einen Platz im Film (Kiarostami, Makhmalbaf)

Das Kino im Iran war und ist Doppelagent zwischen Moderne und Gegenmoderne, ein Geschenk und importiertes Gift, das wechselweise dazu diente, sich mit der westlichen Zeit zu synchronisieren und zu de-synchronisieren. Anders als in Europa war es zunächst keine Massenkunst, sondern ein exklusives Elitephänomen, das erst allmählich die höfische Sphäre verließ und ein breiteres Publikum fand. Nicht ohne Grund geht es in so vielen iranischen Filmen aus Vergangenheit und Gegenwart um Formen der Selbstermächtigung mittels imaginärer oder realer Besetzungen der Kinoapparatur. Mohsen Makhmalbaf greift in Salaam Cinema (1995) sogar zu drastischen agitatorischen Methoden, um die – auf einen Platz im Film drängenden – Bewerber im Rahmen eines Casting-Prozesses für einen Film zur Rückeroberung der Filmapparatur und zum Widerstand gegen die autoritären Regieanweisungen zu bewegen. Und Abbas Kiarostamis Close-Up (1990) verhandelt das Begehren nach Sichtbarkeit sowie das Recht auf Ausbildung eines idealen Selbst in einem komplexen Gewebe aus Dokumentation (einer Gerichtsverhandlung) und Fiktionalisierung realen Geschehens (mittels Reenactment).
Beide Filme thematisieren auf jeweils andere, aber vergleichbare Weise Prozesse des Wirklichwerdens des nur nach Möglichkeit Vorhandenen sowie Ununterscheidbarkeitszonen zwischen vorgefundener, zugeeigneter und angeeigneter Geschichte, nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund des Traumatischen der islamischen Revolution (1978/79) und ihres sozialen Imaginären, das als Summe uneingelöster Versprechen zu begreifen wäre, die in den »Warteraum der Geschichte« (Chakrabarty) zurückgedrängt wurden. Aus Perspektive dieser Filme sind (post-)revolutionäre Momente nur als mediale Ereigniskonstellationen – in der filmischen Erinnerungs-, Rechts- und Zeitperformanz – generierbar und restituierbar. Mein Vortrag sucht die filmischen Performanzen des Rechts unter Heranziehung der Film-im-Film-Konstruktionen und medialen Anordnungen in Close-Up und Salaam Cinema auszudifferenzieren.

Vita

Matthias Wittmann ist Film- und Literaturwissenschafter und Assistent am s/f/m Seminar für Medienwissenschaft (Basel). Dissertation (erscheint 2015 bei Diaphanes): »MnemoCine. Die Konstruktion des Gedächtnisses in der Erfahrung des Films« Herausgeber der deutschen Übersetzung von Jean Louis Schefers »L'homme ordinaire du cinema« (2013).