Bauhaus-Universität Weimar
Mein Vortrag wendet sich Normen und Dispositiven postkinematographischer Medien zu. Was ich das Postkinematographische nenne, beschränkt sich nicht auf die Verschiebung der privilegierten Technologien vom analogen Film zu digitalen Netzwerken oder auf eine Relocation der privilegierten Räume des bewegten Bildes, sondern kann in veränderten Normen von Sprache, (Selbst)wahrnehmung & sozialen Beziehungen bemerkt werden. Die veränderten Normen des Medialen partizipieren an veränderten sozialen, ökonomischen & politischen Normen: ein Wandel vom Paradigma der Überwachung der Disziplinargesellschaften (Foucault) zu einem neuen Typus von Voyeurismus und Exhibitionismus digitaler Kontrollgesellschaften (Deleuze). Das utopische Regime der Disziplinargesellschaften fand seine räumliche Entsprechung in Benthams Modell des Panoptikons: die zirkuläre Anordnung von Zellen garantierte die Überwachung von einem zentralen Posten. Die Vorstellung des allsehenden Betrachters genügte, um Praktiken & Normen der Selbstüberwachung & Maßregelung zu initiieren. Digitale Kontrollgesellschaften sind von der Inversion dieses Modells visueller Disziplin geprägt: Abweichungen & Exzess werden durch neoliberale Technologien der Kontrolle produktiv gemacht. Die Bedeutung kompletter Sichtbarkeit hat sich in ihr Gegenteil verkehrt: das digitale Dispositiv ist ein umgekehrtes Panoptikon. Es wird durch die Omnipräsenz von Kameras & Bildschirmen verkörpert, kann aber auch in einem neuen Typus von politischer, ökonomischer & ästhetischer Subjektivität gefunden werden. Im Gegensatz zum disziplinierten Subjekt, dessen Normen Selbstkontrolle und Autonomie waren, werden die Subjekte neoliberaler Kontrollgesellschaft für ihre eigene Übertreibung & ihren Exzess belohnt. Anstatt uns zu disziplinieren, richtig und gemäßigt zu handeln, provozieren uns postkinematographische Medien, unseren eigenen Exzess auszustellen: Wenn wir etwas Extremes machen, posten wir ein Video, ein Photo, oder einen Tweet online.
Lisa Åkervall ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Filmwssenschaft und am SFB 626 »Ästhetishe Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste« an der Freien Universität Berlin. Sie hat 2012 mit der Arbeit »Visionär Werden. Eine Pädagogik der Perzeption« am Seminar für Filmwissenschaft der Freien Universität promoviert. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Filmtheorie, Film-Philosophie, digitale Medien & Postkinematographie, Video & Installationskunst.