Universität Duisburg-Essen
Der erste Paragraph des deutschen Urheberrechts konstatiert: »Die Urheber von Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst genießen für ihre Werke Schutz nach Maßgabe dieses Gesetzes.« In der deutschen Tradition fußt dieser Satz auf der spezifischen Vorstellung eines »geistigen Eigentums«, das als Ergebnis der schöpferischen Tätigkeit eines denkenden Subjekts entsteht und beim Schöpfer verbleibt. Diese Vorstellung ist auch in der Wissenschaft sowohl als Erkenntnisdispositiv wie auch als Subjektivierungstechnik zentral: Monographien und Aufsätze sind Werke mit eindeutiger Urheberschaft.
Die Digitalisierung ermöglicht allerdings andere Praxen der Textproduktion und -distribution. Am Beispiel (populär-)wissenschaftlicher Textformen in digitalen Medien sollen diese Veränderungen exemplarisch untersucht werden. Dabei handelt es sich erstens um interaktive Wissenschaftsweblogs, die ihre Gehalte unter einer Creative-Commons-Lizenz zur weiteren Verbreitung bereitstellen; zweitens um durch Hashtags organisierte Tweets zu Konferenzen, die als Kollektivtext auf dem Sozialen Medium Twitter entstehen; drittens um die Wiki-Plattformen zur Plagiatsdokumentation, auf denen zahlreiche Autoren anonym aktiv sind.
Inwiefern wird hier der einzelne Urheber durch eine Crowd ersetzt? Welcher wissenschaftliche Status kann interaktiven und versionierten Textformen zugewiesen werden? Und was heißt es für die Qualitätskontrolle, wenn der Schutz des »geistigen Eigentums« durch Open Access ersetzt wird? Und schließlich: Inwiefern verstärkt eine gesellschaftliche Statusgruppe wie die Wissenschaft, der – in einem bedingten Rahmen – urheberrechtliche Sonderrechte eingeräumt werden (u.a. das Zweitverwertungsrecht, Bereitstellung digitaler Kopien im Intranet), die digitale Ungleichheit? Der Vortrag wird zeigen, dass die Frage nach dem rechtlichen Status wissenschaftlicher Texte im digitalen Wandel auch eine neue Reflexion wissenschaftlicher Subjektivität und Erkenntnistheorien erfordert.
Dr. Thomas Ernst ist Literatur- und Medienwissenschaftler. Er war Gastwissenschaftler der Columbia University of New York, wurde 2008 promoviert von der Universität Trier und arbeitete anschließend als Postdoktorand an der Université du Luxembourg. Seit 2010 ist er wiss. Mitarbeiter an der Universität Duisburg-Essen, dort arbeitet er an einem Habilitationsprojekt über die Geschichte des geistigen Eigentums. Zuletzt organisierte er den Workshop »Nach dem geistigen Eigentum? Digitale Literatur, die Literaturwissenschaft und das Immaterialgüterrecht«. Siehe auch: www.uni-due.de/germanistik/ernst.