DFG Graduiertenkolleg Locating Media, Siegen
»Was wollt Ihr Twitter-Lutscher eigentlich GENAU? [...] Wollt Ihr Geld? Wollt Ihr eine Art GEMA? Wollt Ihr nur gefragt werden? Wollt Ihr ein Eis? Jeder von Euch schreit ständig »Diebstahl«! Nur rein rechtlich gibt es hier keinen Diebstahl, weil es keinen Besitztum gibt! [...]« postet der Nutzer Marc Berchtold am 3. September 2012 auf Facebook. »Rein rechtlich« hat er damit nicht unbedingt Recht: Ob Tweets die im deutschen Urheberrecht geforderte »Schöpfungshöhe« erreichen, ist umstritten und abhängig von der Frage, ob darin »der menschliche Geist zum Ausdruck kommt, und sich als Ergebnis des individuellen geistigen Schaffens des Urhebers« darstellt – ein Umstand, der auf die Masse der Tweets nicht zutreffe, wie der Rechtsanwalt und Blogger Thomas Stadler bemerkt. Tatsächlich aber hat die Münchener Verlagsgruppe der Forderung der Twitter-Nutzer nachgegeben und das aus »geklauten Tweets« bestehende »Sprüche-Buch« von Rolf Hohenhaus, um das die Debatte entbrannte – Nachts um 3 Uhr klingelte der Nachbar. Mir ist vor Schreck fast die Bohrmaschine aus der Hand gefallen – nicht publiziert.
Der Vortrag stellt zur Diskussion, in wie weit man es hier mit einem Fall extralegalen Urheberrechts zu tun hat, wie es in der Forschung um Low Intellectual Property Rights (IPR) Regimes thematisiert wird. Wie für solche »Regimes« auch, scheint es für den dargestellten Fall entscheidend, dass für die Schaffenden selbst die Zurechnungsmöglichkeit (d.h. accountability) geistiger Leistung unzweifelhaft bestand. Auf Grundlage ethnografischer Daten werden die dabei verwendeten impliziten Regeln, Sanktionsversuche und normative Debatten dieser Twitter-Nutzergruppe herausgearbeitet. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass die Forschung um Low IPR Regimes stets darauf verweist, dass derartige Regelsysteme oft Eingang in das legale Urheberrecht gefunden haben.
Johannes Paßmann studierte Medienwissenschaft an der Universität Siegen und promoviert am DFG-Graduiertenkolleg Locating Media an der Universität Siegen mit einer medienethnografischen Arbeit über Twitter. Er arbeitete er als Lecturer für Software Studies und Network Politics im Master New Media and Digital Culture an der Universität Utrecht und hielt Lehraufträge im Master Literatur-, Kultur- und Medienwissenschaft an der Universität Siegen ab.
Hrsg. mit Raphaela Knipp und Nadine Taha: »Vom Feld zum Labor und zurück«, Navigationen, Jg. 13, H. 2, 2013.