Christian Köhler

Grako "Automatismen", Uni Paderborn

»Harden the Fuck up!« Virtuelle Welten und die Durchsetzbarkeit des Rechts

Es gibt kein Recht, »das nicht in sich selbst, a priori, in der analytischen Struktur seines Begriffs die Möglichkeit einschließt, »enforced«, also mit oder aufgrund von Gewalt an-gewendet zu werden« (Derrida 1991). Im klassischen Recht ist es der Nationalstaat, der innerhalb seines Territoriums für die Durchsetzbarkeit des Rechtes einsteht. Doch wo liegen die Räume virtueller Welten?
Da sich virtuelle und physische Räume durchdringen, ohne aber zur Deckung gebracht werden zu können, konkurrieren in virtuellen Welten mindestens drei Instanzen um die Durchsetzung von Recht: 1) der Programmcode, der die virtuelle Welt konstituiert; 2) innerdiegetische Rechtsinstitutionen wie z.B. Spielervereinigungen; 3) als Grenzfigur zwischen virtueller und physischer Welt die Betreiber, die sich – mitunter überrascht durch die Handlungen der User – über den Code ihrer Welt hinwegsetzen können; 3) staatliches Recht, das seine Rechtsansprüche aus der Lokalisierung der physisch-technischen Infrastruktur ableitet.
Diese Gemengelage soll am Beispiel des Sci-Fi-MMORPG EVE Online diskutiert werden. Innerhalb der Spielewelt werden durch Spieler in elaborierten Intrigen und Betrugssystemen gigantische Summen der Spielwährung von anderen Spielern erbeutet. Der Betreiber CCP lässt dieses Spielverhalten zu, da der Raubtierkapitalismus das Wirtschafts- bzw. Gesellschaftsmodell ist, das als Rollenspiel betrieben werden soll. Prekär wird die Situation dadurch, dass sich die Spielwährung in reale Währungen umrechnen lässt, also einem realen Wert entspricht. Zwar hat sich CCP versucht nach isländischem Recht dagegen abzusichern, doch wären reale Klagen vermutlich möglich (vgl. Lastowka 2010). Interessanterweise wurde durch Spieler bislang keine einzige Klage erhoben, da sonst das Spiel in der derzeitigen Form unmöglich würde. Der einzige Ratschlag, der üblicherweise den Betrugsopfern erteilt wird: »Harden the Fuck Up!«

Vita

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am DFG-Graduiertenkolleg »Automatismen«; letzte Veröffentlichung: mit Matthias Koch: »Das kulturtechnische Apriori Friedrich Kittlers«, in: Balke, Friedrich / Siegert, Bernhard / Vogl, Joseph (Hrsg.): Mediengeschichte nach Friedrich Kittler, München 2013 (Archiv für Mediengeschichte Band 13), S. 157-166.