Timo Kaerlein

GraKo "Automatismen", Uni Paderborn

Verteilte agency in digitalen Medien. Let's play-Videos und das Urheberrecht

Wenn »das ganze Recht [...] als eine besessene Bemühung darum verstanden werden [kann], die Aussage[n] zuzuordnen« (Latour 2011), Verantwortlichkeit widerspruchsfrei festzustellen und Akteure mit ihren Handlungen zu verbinden, stellen insbesondere digitale Medien hier eine erhebliche Zäsur und Herausforderung dar. In den Datenbanklogiken des Internets sind klare Subjektpositionen aufgelöst, Vorgänge automatisiert, Tatbestände lassen sich nur mühsam aus Datenspuren rekonstruieren.
Der Beitrag verfolgt am Beispiel von im Internet verbreiteten Let's play-Videos juristische Friktionen an der Grenze von Computerspiel und Film. In Let's play-Videos werden Spielabläufe als Screencasts aufgenommen und per Voice-Over begleitet, wobei die Kommentierung des Spielgeschehens üblicherweise live zur Spielzeit erfolgt. Als Ende des Jahres 2013 eine urheberrechtliche Debatte ansetzt (gerüchteweise wollen Akteure wie Nintendo an den durch Aufnahmen ihrer Spiele generierten Werbeeinnahmen beteiligt werden), tun sich elementare rechtliche Problemfelder auf. Prekär erscheinen der urheberrechtliche Status von prozessualen Spielerfahrungen, der Medienübergang vom Videospiel zum digital distribuierten Film, das Hardwiring gesetzlicher Vorgaben in algorithmisch garantierten AGBs.
Insbesondere die für die Techniken der Rechtsprechung entscheidende Frage nach der agency wird in dem Beitrag beleuchtet. Während bei Strafdelikten traditionellerweise die Frage nach dem Täter (das Whodunit des Krimis) im Vordergrund steht, ist im Falle der Let's play-Videos lange Zeit noch nicht einmal Konsens über die Identität des Klägers herzustellen. Mitglieder der Community erhalten automatisierte Third Party Copyright Claim Notices von YouTube und auf Twitter entfaltet sich eine Debatte voller Spekulationen und Fehlinformationen. An diesem Fallbeispiel erfolgt eine Reflexion über die juristische Praxis unter digitalen Bedingungen und zum Status von Algorithmen als Rechtsmedien.

Vita

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am DFG-Graduiertenkolleg »Automatismen«; letzte Veröffentlichung: »Playing with Personal Media. On an Epistemology of Ignorance« in: Culture Unbound, Volume 5, 2013, S. 651-670.