Lia Musitz

Universität Wien

Zwischen Recht und Rache: Transformation von Rachenarrativen im Hollywoodkino nach 9/11

In den Reden an die Nation, die den Anschlägen vom 11. September 2001 folgten, inszeniert der amerikanische Präsident George W. Bush die Politik als Rächerin. Denn mit den Worten »hunt them down«, »smoke them up« und »dead or alive« ruft der oberste Staatsrepräsentant das Rachegenre des Western-Films offen als politischen Komplizen an. So erfährt das 21. Jahrhundert eine mediale Einleitung von Diskontinuitäten rechtlicher Handlungs- und Denkmuster, die aber sogleich hinter Bindungen an natürlichen Kontinuitäten unkenntlich gemacht werden. Die Rache nämlich ist zugleich das vorausgesetzte naturmythische Narrativ des Rechts, weil sich erst vom Racheakt einer strafenden Naturgewalt aus die Existenz von Gerechtigkeit beobachten oder zuschreiben lässt. So wirkt sie in religiösen Schöpfungs- wie in politischen Gründungsmythen als natürliche Gegengewalt zur Willkürherrschaft und erschafft erzählerisch die Potentialität legitim unterordnender Regierungsgewalt und ihre Notwendigkeit selbst, von der sich das Recht zugleich ableitet und unterscheidet. Die gesetzte Herrschaft der Rechtsordnung, die über feine, festgeschriebene Differenzen regiert, stößt die naturgegebene, zwischen persönlichem und allgemeinem Interesse indifferente und maßlose Strafgewalt der Rache von sich. Von nun an ist Rache Selbstjustiz und untergräbt mit dem Gewaltmonopol auch die Autorität des Rechtstaats. Die politischen Komplizen des Films, die Bush anrief, erzählen aber etwas anderes. Die Neuauflagen rächender Superhelden, klassischer Racheepen und selbst die heutige Figuration eines James Bonds zeigen die Rache weder als Kraft der Gegenstaatlichkeit noch als konkreten Umschlagepunkt politischer Transition. Sie halten den Staat in der Not an der Schwelle von Recht und Rache gefangen und geben der Koinzidenz von privater und öffentlicher Sphäre in einer allmächtigen Staatsmacht legitime Bilder.

Vita

Lia Musitz studiert Sinologie und Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien. Als Stipendiatin der Volksrepublik China besuchte sie ein Jahr lang die chinesische Wuhan Universität und erlangte im Bereich der Sinologie mit einer Arbeit über den »leiblosen Volkskörper der Kulturrevolution« den Titel des Bachelors. Derzeit schreibt sie an einer Diplomarbeit der Filmwissenschaft über das Zusammenspiel politischer Transitionen nach 9/11 und wandelnden Rachenarrativen in gegenwärtigen Hollywoodfilmen.