Seminar für Filmwissenschaft FU Berlin
Mit dem Aufkommen der Videokassette in den 1980er-Jahren emanzipierte sich nicht nur der Film von den restriktiven Bestimmungen des Kinos und des Fernsehens, sondern gelangte so vollends – und dies durchaus wörtlich zu verstehen – in die Hände des Rezipienten. Alsdann die neuen Jugendschutzgesetze Mitte der 1980er-Jahre spezifische Genres einem Generalverdacht aussetzten, verschuf sich der Mediennutzer einen anderen Zugang zu seinen Filmen. Die massenhafte Verbreitung des Videorecorders und die dadurch gegebene (illegale) Möglichkeit aus einer Kopie viele neue Duplikate zu erstellen, stellte nur einen Einstieg dar, verbotene Filme zu sichten und zu sammeln.
Dem Fan devianter Filmprogramme wurden jedoch Anfang der 1990er-Jahre weitere Möglichkeiten offeriert, seinen audiovisuellen Interessen nachzugehen: Dies wurde vor allem begünstigt durch den Durchbruch der Kaufkassette, die ihren Ort nicht nur in den Videotheken, sondern gleichsam auf sogenannten Film- und Videobörsen fand. Diese mehrmals im Jahr stattfindenden Treffpunkte für Filmliebhaber changieren bis heute zwischen dem, was offiziell angeboten werden darf und dem, was nur »unter der Ladentheke« erhältlich ist. Die dortigen medialen Praxen wurden unterstützt durch ein sich entwickelndes Fantum, das seine Inspiration nicht nur durch neu gegründete Programmvideotheken generierte, sondern auch durch eine eigens dieses Segment betreffende Magazinkultur. Durch reich bebilderte Schnittberichte fügten sie jene Filme wieder zu einem Ganzen zusammen, die vorher durch Auflagen vonseiten der Industrie wie der FSK zergliedert worden waren. Das ideelle Zusammenfügen des Films ging dabei dem Kauf der ungeschnittenen Videokassette voraus, vor der Komplettierung der Sammlung hatte somit erst der einzelne Film komplett zu sein.
Den Interdependenzen zwischen Zensur, Legalität, Fankultur und Filmwissen sowie dem konkreten Ort der Börsen und deren medialer Praxis möchte dieser Vortrag in einer historischen Perspektive nachgehen.
Dr. des. Tobias Haupts, Studium der Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft, Geschichte und Theologie in Köln, Promotion im April 2013 an der Universität Siegen mit einer Arbeit zur Geschichte und medialen Praxis der Videothek in der Bundesrepublik. Seit 2012 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Filmwissenschaft. Forschungsschwerpunkte: Filmgeschichte (derzeitiger Schwerpunkt: deutsches Genrekino der Nachkriegszeit, deutsche Filmgeschichte der 1980er Jahre), Genregeschichte wie historische Perspektiven der Medienkulturwissenschaft.