Hochschule für Medien, Kommunikation u. Wirtschaft
Lange vor der Diskussion um Musik-Piraterie spielte die Frage nach dem Copyright nicht so sehr für die Rezipienten, sondern für die Musik-Produzenten eine entscheidende Rolle (vgl. Kernfeld 2003; Kernfeld 2006). Im Zentrum dieser frühen Auseinandersetzung steht das »Realbook«: Es ist das nach der Bibel vermutlich einzige Buch, das in Manuskript-Form um die Welt gegangen ist und dogmatische Züge hat. Es ist nicht im Handel erhältlich und liegt nur in fotokopierter Form vor. Im Vortrag soll das Gegensatzpaar Sampling/Faking und Piracy/Copyright als Leitdifferenz vorgestellt werden, die ein singuläres kulturelles und mediales System manifestieren.
Sampling/Copying: Unter Sampling wird der Vorgang der Bearbeitung eines Musikstücks in neuem Kontext verstanden (vgl. McLeod/DiCola 2011: 36). Für Jazz war das von den Anfängen an Grundbedingung der Produktion. Die weitgehend illiteraten ersten Jazzmusiker musizierten improvisierend und imitierend (Kirchner 2005: 42). Die mediale Repräsentation mittels Grammophon/Schallplatte war für die Musikrichtung stilbildend (Kittler 1986: 74; Hunkemöller 1980: 7). Schriftliche Fixierung durch Noten spielte lange keine Rolle im Jazz, und erfolgte erst bei seiner Akademisierung (Bley, Swallow). Notierung erfolgt grundsätzlich durch Heraushören: Das »Original« bleibt die spontaneistische Darbietung auf Platte, das Notat ist ein »Fake« (darum auch Fake-Book). Neu-Kontextualisierung erfolgt melodisch oder harmonisch. Für beides ist das Realbook schulbildend.
Copyright: Die legale Situation ist paradox. Einerseits werden Fakebooks vom FBI verfolgt (dokumentiert bei Kernfeld 2003) und die Verbreitung des »Realbooks« auch digital bis heute kriminalisiert (u.a. von Sony als Rechteinhaber). Andererseits konstituiert das Realbook-Sampling neue copyright-geschützte Werke und liegen heute neben digitalen Kopien des Buchs auch Smartphone-Apps für Improvisation und Produktion vor. Die Autor-losigkeit des Realbook hat darum auch juristische Gründe.
2014 HMKW Köln
2011-13 Professor für Kulturjournalismus, MHMK München
1994 - 2011 Journalist, Fernsehregisseur und Filmemacher (WDR)
2005 Promotion über ein narratologisches und medientheoretisches Thema
1988-95 Studium der Philosophie, Theologie, Dt. Philologie, Geschichte und Soziologie in Rom, Göttingen, Düsseldorf und Köln
1989-93 Klavierlehrer an der Freien Musikschule am Wall (Göttingen)
>> mein Vortrag soll mit Klangbeispielen erfolgen. Wenn es einen Hörsaal mit Flügel/Klavier gibt, könnte ich das »Sampling« live vorführen ...